Vielleicht geht es auch Ihnen so, dass Sie den Impuls spüren, in der aktuellen Situation Geschichten zu erzählen, die Kinder und uns selbst stärken können.
Vor einigen Jahren stieß ich zufällig auf die Familienbibel des niederländischen Theologen Nico ter Linden. Als Kind erlebte er den Zweiten Weltkrieg und im Vorwort zu dieser Bibel schreibt er:
“Als ich so alt war wie ihr, herrschte Krieg in unserem Land. Nicht weit von unserem Haus entfernt wurden Raketen abgefeuert, sie sollten England zerstören, aber manchmal setzte kurz nach dem Start der Motor aus, und dann stürzte so eine Rakete bei uns in der Nähe ab. Ich hatte immer Angst, sie würde auf unser Haus fallen.
Vor dem Zubettgehen las mir mein Vater oder meine Mutter immer eine Geschichte aus der Bibel vor. Als nachts die Raketen abgefeuert wurden, wollte ich nur noch eine einzige Geschichte hören: Die von Jesus, der über das Wasser geht. (…)
„Aber man kann doch gar nicht über Wasser gehen!”, werdet ihr sagen. Stimmt, das geht nicht. Es ist auch nicht wirklich passiert. Aber es ist eine schöne Geschichte. Die Geschichte tröstet mich heute noch immer, so wie früher, als ich ein kleiner Junge war und im Krieg Angst hatte, Angst vor der Nacht, Angst vor dem Tod.
Wusste ich damals schon, dass diese Geschichte nicht wirklich passiert Ist? Das Verrückte ist, ich stellte mir diese Frage gar nicht, und deshalb dachte ich auch nicht darüber nach. Später überlegte ich mir das sehr wohl – und plötzlich hielt ich die Geschichte für ziemlich dumm. Ich verstand überhaupt nicht mehr, warum sie mir damals so gut gefallen hatte.
Viel später wurde mir klar, dass ich diese Geschichte besser verstanden hatte, als ich noch klein war. Denn ohne dass sie mir jemand hätte erklären müssen, spürte ich ganz tief in mir, dass sie nicht von normalem Wasser handelte, sondern vom Wasser des Todes.
Ich träumte oft von Wasser. Dann träumte ich, dass ich ertrank. Ich träumte also vom Tod. Heute weiß ich, warum ich im Krieg vor dem Schlafengehen gerade diese Geschichte hören wollte. Ich hatte Angst, und ich spürte genau, was mir diese Geschichte sagen wollte: Gott ist stärker als der Tod. Und ich wusste: Auch wenn eine dieser Raketen auf unser Haus fällt, bin ich in Gottes Hand.” Nico Ter Linden: König auf einem Esel, 2011, S. 3
Für mich ist die Geschichte der Sturmstillung eine, mit der ich Angst in mir begegnen kann. Vielleicht finden wir und die Kinder, mit denen wir täglich sind, in ihr und mit ihr Ruhe, Geborgenheit und Zuspruch.
Die Erzählung kann natürlich auf unterschiedliche Weisen anregend und einladend gestaltet werden. Über den Button ist eine mögliche Erzählvorlage verlinkt, die zum eigenen Erzählen anregen kann.